Studienreise nach Görlitz 23.-28.05.2016
Chronik der SENU-Ndk
Europapolitik im Dreiländereck
Die Seniorenunion Niederkassel startete ihre jährliche Studienreise im Rahmen der Europäischen Idee in der Zeit vom 23. Bis 28. Mai 2016 in die östlichste Region Deutschlands. Unterstützt durch die Karl–Arnold-Stiftung e.V. wurde ein ausgesprochen anspruchsvolles Program zusammengestellt. Mit Standort in Görlitz informierten sich die Senioren über die politischen Gegebenheiten im Zusammenleben der Bevölkerung im Grenzbereich Deutschland/Polen, der Minderheitsrechte der Sorben, der Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie des aktuellen „Wetterleuchtens“ zwischen Polen und Deutschen.
In Görlitz wartete ein kulturelles und politisches Program, in dem die Europastadt sich bei gutem Wetter im Festkleid zeigte. Die Stadtführung brachte Eindrücke zu Tage, die man in der Fülle nicht hätte erwarten können. Seit 1815 preußisch/schlesisch kann man die Stadt als Flächendenkmal erleben, an dem die kriegerischen Zerstörungen vorüber gegangen waren. Umso mehr erschreckt der unter SED-Herrschaft systematisch betriebene Verfall der Bausubstanz.1990 zählte die Stadt 73.000 Einwohner, heute ca. 55.000. Etwa 2.200 Polen arbeiten in Görlitz. Der nach der Vereinigung erfolgte Wiederaufbau zeigt sich besonders im Stadtzentrum, so zum Beispiel eine durch Privatinvestition in verfallenen Hallenhäusern neu erstandene Jugendherberge mit 170 Betten. Zwischen Unter- und Obermarkt glänzt die Stadt mit herrlich restaurierten Kaufmannshäusern aus Renaissance und Gründerzeit. Allerdings gibt es auch noch viele Häuser, die auf neuen Glanz warten. In den letzten Jahren findet wieder ein leichter Zuzug statt, der Bekanntheitsgrad wächst durch die Filmindustrie – auch „Görliwood“ genannt. Über die Stadtbrücke und die neu erbaute Altstadtbrücke spielt sich ein nicht erkennbarer Grenzverlauf ohne Barrieren ab.
Ein politisches High-Light war die Diskussion mit dem stv. Bürgermeister, Dr, Hippe im historischen Rathaus . Hier wurde deutlich, dass der Umgang zwischen Deutschen und Polen im mitmenschlichen Zusammenleben problemlos ist, allerdings auf behördlich-bürokratischer Ebene noch deutlich verbessert werden kann. Das ist nach Aussagen der Betroffenen besonders in letzter Zeit zu bemerken, obwohl EU-Gelder für die Grenzbebauung auch in das polnische Görlitz – Zgorzelec- fließen.
Am nächsten Tag ging es über EU-finanzierte Straßen in die Europäische Kulturhauptstadt Breslau. Dort wurde die Gruppe von der stv. Generalkonsulin Christiane Botschen, die für Wirtschaft und Kultur die grenznahe Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der polnischen Administration sowie die Betreuung der Deutschen Minderheit in Niederschlesien verantwortlich zeichnet, begrüßt. Ihr Vortrag war sehr aufschlussreich und spiegelte das derzeitige politische Klima wieder. Die deutsche Minderheit in Niederschlesien umfasst 27.000 Personen, die schwerpunktmäßig im Kreis Oppeln/Ratibor beheimatet sind. 25 Jahre nach Abschluss des Deutsch/Polnischen Nachbarschaftsvertrages sind zur Zeit die Beziehungen als frostig zu bezeichnen, zudem der Staatspräsident, der ganz auf der „Katschinski-Linie“ fährt, das neue Minderheitengesetz nicht unterschrieben hat. Auf der Arbeitsebene läuft die tägliche Arbeit weitgehend störungsfrei. Allerdings ist das nicht im politischen Bereich so. Die politischen Störfeuer spalten die Gesellschaft, da der Austausch von Personen an verantwortlichen Stellen in Kultur und Vereinen bis hin zu staatlichen Betrieben erfolgt, die überwiegend durch Inkompetenz glänzen. Das investitionsfeindliche Klima macht die Arbeit nicht leichter, denn auch in Polen herrscht Fachkräftemangel. Von den Spannungen ist die Zusammenarbeit mit den Wojewodschaften auch in Mitleidenschaft gezogen. Als Fazit wurde deutlich, dass es sich bei der derzeitigen Lage um das Ergebnis von Protestwahlen der Bevölkerung handelt, weil die Vorgängerregierung nicht in der Lage war die Menschen mitzunehmen.
Die anschließende Stadtführung zeigte die Schönheit der Stadt mit ihren neu im Ursprung entstandenen Gebäuden aus Renaissance, Barock und Gründerzeit. Die Bauten um den größten Markt Europas mit dem Dom machen auf den Besucher einen überwältigenden Eindruck.
In Bautzen mit seinen 40.000 Einwohnern interessierte die Senioren besonders die Stellung der Sorben in Sachsen. Schon sehr früh siedelten die Sorben in der Lausitz und errichteten an den seichten Übergängen der Spree ihre Ortschaften. So auch die Kaufmannssiedlung Bautzen. In Tausend Jahren Bautzen entwickelte sich die Stadt. Zum Schutz vor dem Raubrittertum des Mittelalters umwand die Stadt ein 5-facher Verteidigungsring mit bis zu 12 Meter hohen Mauern. Während des 30-jährigen Krieges zerstört wurde Bautzen im Stil des Dresdner Barocks wieder aufgebaut. Schon damals hatte Bautzen eine zentrale Wasserversorgung über ein Brunnensystem und der Dom , in dem heute noch katholische wie protestantische Gottesdienste gefeiert werden, ist Zeichen für das gelungene Miteinander von Landsmannschaften und Konfessionen .
Bereits in der DDR wurden den Sorben besondere Rechte eingeräumt. Das Minderheitengesetz sicherte individuelle Selbständigkeit in Sprache und Kultur. Die Eigenständigkeit wurde später durch administrative Einschränkungen der sozialistischen Vereine erheblich eingeschränkt. Sie sollten ihrer einzigartigen Eigenarten beraubt werden. Aber mit Bautzen verbindet sich auch ein besonders dunkles Kapitel der sozialistischen Schreckensherrschaft in der DDR. Das „gelbe Elend“, eine in der NS-Zeit für 6.000 Häftlinge errichtete Haftanstalt und dem Untersuchungsgefängnis neben dem Justizgebäude zeichneten sich Szenen der menschenverachtenden Diktatur des Sowjet- und des DDR-Regimes ab. BVis 1956 unter sowjetischer Kontrolle 1956 wurden die Haftanstalten an die DDR übergebenen. In Bautzen I und Bautzen II zeigte sich die ganze Härte gegenüber Andersdenkenden und Regimegegnern.
In Bautzen II, das heute Gedenkstätte ist, und mitten in der Stadt liegt, wurden von 1956-83 ca. 85 % politische Gefangene unter Federführung des MfS unter härtesten Haftbedingungen festgehalten und das ohne richterlicher Verfügung. Perfide war die „Zellenverwanzung“ und die Bespitzelung unter den Inhaftierten. Nach außen durch einen Offizier der Volkspolizei vertreten, waren die eigentlichen Herren die Schergen des MfS. Besonders ausgezeichnete Verhörspezialisten wurden hier her beordert, um ihre niederen Instinkte auszuleben.
Als letzte Etappe der Dreiländereckreise wurde die Besichtigung der Stadt Hirschberg mit dem Besuch des Wohn- und Sterbehauses des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmann, der Villa Wiesenstein und eines aus Ruinen neu erstanden Barockschlosses in Lomnitz. Die adlige Familie von Küster, die Gut und Schloss Mitte des 19. Jahrhunderts erworben hatte, konnte mit einem polnischen Partner das Anwesen, allerdings ohne Ländereien, zurück kaufen. Die völlig verfallene Ruine mit Schloss und Gutshof wurde durch die Initiative und Tatkraft der jungen Leute 1991 erstanden und in Etappen mit Hilfe von Spenden, Hilfen der Stiftung Deutsche Umwelthilfe sowie durch Einbringen eigener Leistungen in finanzieller wie auch durch eigene körperliche Anstrengungen in ein Kleinod verwandelt. Der Gutshof mit Stallungen ist heute als Naherholungsgebiet touristisch erschlossen und das Schloss als Museum hergerichtet. Das daneben liegende kleine Schloss fungiert als Hotel. Der Mut der jungen Adelsfamilie und die Risikobereitschaft jungen Unternehmertums zeigt hier am lebendigen Beispiel wie das Zusammenleben zwischen Polen und Deutschen aktiv gestaltet werden kann. In der Region sind viele Einheimische in Arbeit und Brot gekommen.
Das Seminar der Karl-Arnold-Stiftung war ein voller Erfolg und hat die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge verdeutlicht und en Teilnehmern an dieser Studienreise näher gebracht.